Werk ohne Autor

By MBS

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Ein Künstler auf der Suche nach einer eigenen Haltung1

Nie weg sehen. Alles, was wahr ist, ist schön. Der englische Filmtitel (Never Look Away) scheint die Aussage des Films besser auf den Punkt zu bringen als der deutsche, denn es soll ja auch mehr sein als ein Künstlerbiopic. Nach der Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig ist die Kritik über Werk ohne Autor gespalten: Mitreißendes Erzählkino gegen langatmiges und skandalisierendes Pathos. Immerhin wählte sowohl die Festival-Jury in Venedig als auch das deutsche Oscar-Gremium ihn als deutschen Beitrag für den Auslandsoscar aus. Den Film 3 Tage in Quiberon von Regisseurin Emily Atef als deutschen Beitrag für den Auslandsoscar zu nominieren hätte mehr Mut erfordert, aber die Jury wollte wohl auf Nummer sicher gehen, denn schließlich hat Florian Henckel von Donnersmarck diesen Oscar schon 2007 damals höchst verdient für das Leben der Anderen bekommen. 

Gelingt nun sein dritter Versuch, diesmal wieder mit deutschen Schauspielern, seinen ersten Erfolg auch international zu wiederholen? Der Künstler Kurt Barnert (Tom Schilling in der an Gerhard Richter angelehnten Hauptrolle) wächst während des zweiten Weltkriegs auf, seine geliebte an Schizophrenie erkrankte Tante fördert sein Interesse an Kunst, wird aber eingewiesen und Opfer der Euthanasie. Nach dem Krieg studiert Barnert zunächst in Dresden und produziert sozialistischen Realismus; 1961 geht er nach seiner Flucht in Düsseldorf an die legendäre Kunstakademie, an der zu dieser Zeit einige der wichtigsten Künstler Westdeutschlands die Kunst revolutionieren und auch ihn inspirieren, sich von allen Konventionen zu befreien.

2Die Liebe zu seiner Kommilitonin Elisabeth Seeband führt auch zur Konfrontation mit ihrem Vater Professor Carl Seeband, einem überzeugten Rationalisten und Perfektionisten, der für den Tod seiner geliebten Tante verantwortlich war und alles verachtet, wofür Kurt steht. In dieser Rolle ist mit Sebastian Koch ein Schauspieler des Oscarteams aus Das Leben der Anderen wieder dabei; statt musischer Künstlerseele gibt er nun den emotionslosen Euthanasie-Arzt, der auch im Nachkriegsdeutschland weiterhin seine verbohrten Elite-Ideologien verfolgt: Wenn Du Sicherheit haben willst in Deinem Leben, musst Du der Beste sein. 

Ihnen zur Seite stehen das aus Bad Banks und Transit bekannte Ausnahmetalent Paula Beer; Saskia Rosendahl überzeugt in der schwierigen Rolle als schizophrene, aber liebenswerte Tante des Malers. Die reifere Frauenrolle von Frau Seeband ist leider nicht so eindrucksvoll angelegt wie die von Martina Gedeck; sicher, die Zeit war patriarchalisch geprägt, aber dass es im Leben von Gerhard Richter keine prägenden älteren Frauen gegeben haben soll, ist eher unwahrscheinlich. Nicht nur Tarantinos Erfolg basiert auf seinen starken Frauenfiguren unterschiedlichen Alters, auch Das Leben der Anderen wäre ohne Martina Gedeck nicht so erfolgreich gewesen.

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3Dass ein hochkarätiges Schauspielerensemble aber noch kein Garant für einen erfolgreichen Film ist, musste von Donnersmarck schon 2010 mit The Tourist erfahren: Selbst Angelina Jolie und Johnny Depp konnten die Story in schönster Venedig-Kulisse nicht aufwerten. Trotz 3 Golden Globe Nominierungen verriss die Kritik den Film. Den Fehler einer zu seichten Story wollte er wohl nicht wiederholen; Besonderheiten der Biografie Richters bilden die Basis für das Drehbuch, zeigen Täter und Opfer in einer Familie in 3 Jahrzehnten deutscher Geschichte und gehen gar der Frage nach dem Ursprung von Kreativität nach.

Vorlage für das Drehbuch war das Buch Ein Maler aus Deutschland. Gerhard Richter. Das Drama einer Familie des Tagesspiegel-Journalisten Jürgen Schreiber über die schicksalshaften Ereignisse in der Kindheit und Studienzeit von Gerhard Richter. Die Namensrechte von Gerhard Richter ganz zu erwerben war wohl zu kostspielig, letztlich für die Geschichte auch nicht notwendig. In Richters Familie gab es sowohl Täter als auch Opfer der Nazis, der Film verbindet fiktional beides miteinander und zeigt auf, dass Kunst ein Mittel zur Läuterung sein kann. So setzt sich auch Gerhard Richter in seinen Arbeiten mit Spiegelungen und ihrer Wirkung auf die Wahrnehmung auseinander.

4Schon bei The Tourist war Maurizio Silvi für das Make-up zuständig; dort spachtelte er die Schönheit von Angelina Jolie geradezu über; zum Glück ließ er Paula Beer und Saskia Rosendahl diesmal natürlich wirken.

Für die Filmmusik konnte Donnersmarck den Elektro-Akustik Komponisten Max Richter gewinnen, das verspricht besonderen Hörgenuss. Er komponierte die Musik für über 50 Filme und gilt als einer der einflussreichsten Komponisten seiner Generation.

5Donnersmarck zufolge ist Kunst Ausdruck einer Biografie, bildet sie gar in besonderer Weise ab. Sein Protagonist sucht nicht nur in der Kunst nach einer eigenen Haltung. Letztendlich wird die Verbindung zwischen der ermordeten Tante und dem dafür verantwortlichen Schwiegervater durch künstlerischen Zufall offensichtlich, es entsteht das Werk ohne Autor.

Seine Beuys-ähnliche Figur merkt im Film an: Nur der Künstler kann den Menschen nach dieser Katastrophe das Gespür für ihre Freiheit zurückgeben. Kann der Film dem Zuschauer dieses Gespür vermitteln? Gerhard Richter selber befand den Film in einem Interview als zu reißerisch, hatte aber auch nur den Trailer gesehen. Ob der ganze Film diese Kritik verdient, kann jeder Zuschauer selber entscheiden (ab 3.10.2018 im Kino)6.

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  1. Beitragsbild: ©2018 Buena Vista International/Pergamon Film/Wiedemann & Berg Film
  2. Beitragsbild: Sebastian Koch als Carl Seeband ©2018 Buena Vista International/Pergamon Film/Wiedemann & Berg Film
  3. Beitragsbild: Paula Beer als Elisabeth Seeband ©2018 Buena Vista International/Pergamon Film/Wiedemann & Berg Film
  4. Beitragsbild: Saskia Rosendahl als Elisabeth May ©2018 Buena Vista International/Pergamon Film/Wiedemann & Berg Film
  5. Beitragsbild: Cai Cohrs als junger Kurt Barnert ©2018 Buena Vista International/Pergamon Film/Wiedemann & Berg Film
  6. Videonachweis: https://www.youtube.com/watch?v=vfUK_adu26g, Zugriff 1.9.2018
  7. Vgl. Brown, o. J.

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