By MBS
Posted in Kunst
Das Gallery Weekend 2019 konnte man Ende April so richtig mit viel Sonnenschein genießen: Angenehme Temperaturen sorgten für großen Publikumsandrang in Mitte, Charlottenburg, Kreuzberg und an der Potsdamer Straße. Die Berliner Galerien sowie die Kunstmesse paper positions zeigten spannende Wieder-, aber auch Neuentdeckungen.
Nicht nur Kunstkäufer konnten für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas finden, man konnte sich auch einfach nur auf andere Gedanken bringen lassen, z. B. mit herrlich sinnfreien Fragen wie: Warum steht ein zu kleines Geschäftsgebäude in einem geschlossenen Raum?
Fans von Peter Fischli und David Weiss [†] kommen bis 27.7.19 in der Galerie Sprüth Magers in Mitte auf ihre Kosten: Das Haus als Holzmodell repräsentiert spätmodernistische Alltagsarchitektur; die Relation zu den Besuchern verdeutlicht den Maßstab 1:5.
Das schon 1987 für die Skulptur Projekte Münster konzipierte Objekt wurde für die Retrospektive 2016 vor dem Guggenheim in New York neu in Aluminium gegossen und korrespondiert inzwischen dank der Kunstmäzenin Maja Hoffmann in Zürich mit seinem dortigen Umfeld: Zu klein für die Realität versandet die Moderne im Pragmatismus; leider zu oft auch in der Berliner Architektur zu beobachten.
Nach seinen sehr erfolgreichen Ausstellungen sowohl in der Berlinischen Galerie als auch im Kunstmuseum Erlangen widmet sich der in Berlin lebende Künstler Julian Charrière wieder der Unterwasserwelt.
Er zeigt in seinen Arbeiten ikonografisch die Verbindung zwischen Umweltwissenschaft, Kulturgeschichte, aber auch der von Menschen verursachten Zerstörung auf.
Seine Fotografien von in Meereswelten schwebenden Tauchern faszinieren mit fast tänzerischen Posen. In der Ausstellung Silent World inszeniert er dazu eine Installation als imaginären fremdartigen Raum, in der Menschen nur schemenhaft erkennbar sind.
Im fast dunklen Galerieuntergeschoß kann der Besucher in seine Unterwasserwelten eintauchen: Ein Projektor unter der Decke wirft Videobilder auf einen Bildschirm, von dem Dunst aufsteigt: Sie erscheinen wie Sonnenstrahlen, die in die Wassertiefe eindringen.
Bild oben rechts: Die Galeristin Dr. Alice Trier in einem modischen Trenchcoat der Kultmarke COLRS by Zec Elie Meiré
.
Auf einer Le Corbusier Liege kann der Besucher den Schwebezustand beim Tauchen nacherleben und die destruktive Schönheit von Fotografien des verseuchten Bikini-Atolls von 2016 betrachten.
Bild oben: Enyu III – Terminal Beach, 2016 ©Julian Charrière ©DITTRICH & SCHLECHTRIEM
Bild unten rechts: Nativist Americans ©Andrea Robbins und Max Becher @Galerie Sprüth Magers
Die Ausstellung Nativist Americans von Andrea Robbins und Max Becher umfasst drei Serien, deren gemeinsames Thema die historische Aneignung der Kultur der Native Americans in Form von Kostümen und Verkleidungen ist. German Indians, die älteste der drei Serien, zeigt als Native Americans verkleidete, deutsche Hobbyist/-innen.
Aufgenommen wurden die Fotografien in Radebeul bei Dresden, der Heimatstadt Karl Mays. An der Liebe zum Detail und der Kultivierung eines hochromantisierten Bildes der First Nations wird deutlich, dass die Native Americans von den Teilnehmenden als untergegangenes Volk wahrgenommen werden.
Bild oben links: Nativist Americans ©Andrea Robbins und Max Becher @Galerie Sprüth Magers
Bild unten: Vim (Ausschnitt), 2019 ©Stefanie Heinze @Galerie Capitain Petzel. Öl und Acryl auf Leinen
Capitain Petzel zeigt Stefanie Heinzes Arbeiten, die Szenen voller phantastisch anmutender Begegnungen und spielerisch transformative Motive zusammensetzen. Während der Übertragung auf die großformatige Leinwand ereignen sich von ihr durchaus erwünschte Übersetzungsfehler, denn Farben und Linien sprechen stetig verschiedene Sprachen und erzeugen so neue Bedeutungsinhalte.
Ausgangspunkt ihrer Gemälde sind kleinformatige Zeichnungen, die oft in einem Collageprozess entstehen, in dem Formen entfernt oder ergänzt werden. Das Scheitern ist bei ihr nicht nur immer eine Option, sondern auch ein integraler Bestandteil ihrer Bilder.
Bild unten rechts: ©Stefanie Heinze @Galerie Capitain Petzel
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Claus Georg Stabe hat das Genre Zeichnung veredelt – mit einfachstem Werkzeug. Er verhandelt die Linie – das Elementarteilchen des Mediums – auf virtuose Weise neu, addiert sie zu Flächen und erzielt ungewöhnliche Effekte.
Es flimmert, glänzt und wogt im wandernden Betrachterblick und verführt die Vorstellung zu mystischen Illuminationen.
Bild oben: ©Claus Georg Stabe @REITER Galerie. Kugelschreiber auf Papier
Bild unten links: Die Designerin Aleksandra Viktor in einem ihrer besonderen Mäntel
Bild oben rechts: Head full of steam, 2019 ©Oliver Gröne @Galerie Jarmuschek + Partner. Acryl und Öl auf Leinwand
Blain|Southern Berlin zeigt im Obergeschoß die Continuous Curve Serie des französischen Konzeptkünstlers Bernar Venet, eine Weiterentwicklung der bekannten Indeterminate Line Skulpturen, von denen auch mehrere Arbeiten gezeigt werden, sowie dazugehörige Zeichnungen.
Fünf große, freigestellte Indeterminate Line Skulpturen aus verschlungenem, gerolltem Stahl bespielen das Erdgeschoss der Galerie. Ihre Ordnung und Balance finden die Skulpturen in ihrem Gegengewicht aus den augenscheinlichen Verschlingungen, die zu einem scheinbar wilden Haufen zusammenfallend den Eingang versperren.
Diese Skulpturen erschaffen sich nicht selbst. Man muss ihre Entstehung erlebt haben, um zu verstehen, wie schwer es ist, diese Stangen aus Vierkantstahl mit ihrem Durchmesser von bis zu 11 cm zu biegen.
Nur dann versteht man die Gefahren, denen ich mich aussetze und die körperliche Anstrengung, die ich aufbringen muss. Ich muss jedes Mal von Neuem improvisieren, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. [Bernar Venet]
Sei es durch die Geometrie bestimmt oder unbestimmt, das Relief in den wandbasierten Arbeiten Venets näherte sich mit der Zeit mehr immer mehr der Skulptur an, um 1984 mit Indeterminate Line das erste Mal Wand und Boden zu verbinden.
1994 wurde er von Jaques Chirac, damals Bürgermeister von Paris, dazu eingeladen, zwölf seiner Skulpturen aus der Indeterminate Line Serie auf dem Champ de Mars unterhalb des Eiffelturms in Paris zu zeigen.
Where ever we are is museum, lautet das Credo von Eva & Adele, die wie immer bester Laune und stilvoll in schwarz-weiß gestylt omnipräsent auf dem Gallery Weekend zu sehen waren.
Wu Weis Umgang mit Papier und Metall ist besonders poetisch und spirituell motiviert. Seine Objekte öffnen Fenster in andere Dimensionen und lösen beim Betrachter haptische Reize, sinnliche Irritationen und Neugierde aus.
Die Farbe Rot wird im gesamten Ausstellungsraum aneinander gereiht, eine Farbe, die im alten China häufig an den Wänden von Palästen und Tempeln zu sehen ist, um das Böse zu vertreiben.
Bild oben: The Gigantic ©Wu Wei @XC.HuA
Seine Arbeiten zeichnen sich durch kontrastierende visuelle Elemente und Materialien aus, die gleichzeitig fragil und robust wirken.
Horia Damian [†2012] suggerierte Räumlichkeit im poetischen Sinne, er erschuf Bereiche der konzeptuellen Volumina.
In seinen Bildern wollte er auch das Sonnenlicht einfangen. Wie seine Installationen sind es Hybride aus bildender Kunst und Architektur.
Bild oben: Forme de San Francisco/Clair de Lune, 1980 ©Horia Damian @GaleriaPlan B
Bild unten links: So I see, 2019 ©Ryan Gander @Esther Schipper
Zu Ihrer Inspiration eine Auswahl aus aktuellen Herren-Kollektionen (*Werbung):
Bilder oben: ©Michael Sebastian Haas @ART NOW Gallery
Bild unten links: War Flower, 2019 ©Math Bass @Galerie Tanya Leighton. Gouache auf Leinwand
Bild unten: For My Wishes 2, 2018 ©Eri Ota @MICHEKO GALERIE. Lithografie
Sowohl Greta als auch immer mehr Künstler/-innen haben den Anspruch, aufzurütteln und für die Schönheit unserer Umwelt Sensibilität zu schaffen, selbst wenn es nur für einen kurzen Moment und mit kleinem Effekt ist.
Die paper positions präsentierte in der Hauptstadtrepräsentanz am Gendarmenmarkt 48 internationale Galerien mit herausragenden künstlerischen Positionen zum Thema Zeichnung und dem Medium Papier und stellt dieses besondere Genre innerhalb der Kunst konzentriert in den Mittelpunkt.
Dabei sollen jene Galerien und die von ihnen vertretenen Künstler eine Präsentationsmöglichkeit bekommen, die sich dem Medium Papier mit all seinen spezifischen Besonderheiten, seiner Fragilität und seiner enormen Vielseitigkeit widmen.
Bild oben links: Fratello Rotto, 2018 ©Elena Monzo @LuisaCatucci Gallery
Skulptur oben rechts: ©Annette Meincke-Nagy @Galerie HOLTHOFF-MOKROSS
Bild oben rechts: Aus der Serie Fly by night, 2019 ©Justin Dingwall @ARTCO art gallery
Bild oben: Yggdrasil (Ausschnitt), 2019 ©Nadja Schöllhammer @C&K Galerie
Bilder unten: Liquid Light, 2019 ©Nicola Staeglich @feldbuschwiesnerrudolph. Öl auf Polyester
Bilder unten links: ©Michael Kenna @Galerie Ira Stehmann
Bild unten rechts: ©Albarrán Cabrera @Galerie Ira Stehmann
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Bild oben links: ©Raquel Maulwurf @Livingstone Gallery
Bild oben rechts: ©Erin Wiersma @Galerie Fenna Wehlau
Bild oben: Sanctorum de Jesu Christo(1652), 2001-2012 ©Albrecht Genin @Galerie Horst Dietrich
Bild oben rechts: ©Oksana Bergen @Ronewa Art Gallery
Bilder unten im Hintergrund links: ©Majla Zeneli @Jarmuschek+Partner
Bild oben rechts: Sky Garden, 2018 ©David Eager Maher @Jarmuschek+Partner. Öl auf gefundenem Papier
Bild unten: SCHON WIEDER AUFSTELLEN, 2019 ©Peer Boehm @Galerie Anja Knoess
Bild unten links: pyramid, 2019 ©Dominik Geis @Galerie Engelage & Lieder. Cyanotypie auf Büttenpapier
Die Cyanotypie (auch Blaudruck) ist ein altes fotografisches Edeldruckverfahren mit typisch cyanblauen Farbtönen. Die Unesco hat 2018 den Blaudruck zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt.
Heike Webers Papierausschnitte scheinen aus dichter Vegetation zu bestehen, die sich wie in einem Dschungel verwächst. Auf dunklem Papier imitieren sie Lichtreflexe mit Acrylfarben.
Sie bestehen aus zwei übereinander liegenden Schichten und sind mit Stiften an der Wand befestigt, um dem gesamten Werk Volumen zu verleihen. Diese luftige Überlagerung erzeugt ein Spiel von Schatten und Licht, das dem Ganzen Dichte verleiht.
Bild oben rechts: Scrub, 2019 ©Heike Weber @Le Salon Vert Gallery
Am auffälligsten unterscheiden sich Tilmann Zahns Papierarbeiten von aktuellen Papierschnitten dadurch, dass er das Papier reißt und nicht schneidet. Er ist weniger an grafischen Aspekten von Papierarbeiten interessiert als vielmehr an einer sinnfälligen Transformation des Materials:
Papier und gerissene Formen erscheinen wie Strukturen im Stadium des Verfalls, ihre haptische Anmutung ist die von rostigen metallenen Architekturen und Fundstücken. Verstärkt wird der Objektcharakter durch die bevorzugte Präsentation der Werke an Stahlnägeln und mit Abstand zur Ausstellungsfläche hängend.
Bild oben: Hybridapparat 1, 2015 ©Tilmann Zahn @Galerie Ulrike Hrobsky. Bleistift, Graphit, Öl, gerissenes Papier
Glücklich sind die Menschen, wenn sie haben, was gut für sie ist. [Platon]
Dass Kunst kaufen glücklich macht, ist den beiden anzusehen.
Bild oben: Untitled, 2013 ©Saba Niknam @Galerie Marek Kralewski. Radierung mit trockener Spitze auf Plexiglas
Die Galeristin Dr. Nanna Preußners überzeugt im schönen schwarz-weiß Look.
Bild oben rechts: Terforation, 2012 ©Angela Glajcar @Galerie Nanna Preußners. Papier (200 g), gerissen
Bild unten links: Twister Grande (Tall) ©Alice Aycock @Galerie Thomas Schulte
Bild oben rechts: Die paper positions wurde dieses Jahr erstmalig von der fashion positions flankiert, hier zeigte u. a. die Modedesignerin Isabel Vollrath ihre einzigartigen Couture-Kreationen ihres Labels I’VR, u. a. ihre Edition Caravaggio.
Ryan Gander präsentiert in der Galerie Esther Schipper neben weiteren spannenden Werken eine amüsante neue Version seiner animatronischen Mäuse. In I … I … I … schaut eine weiße Maus durch ein Loch, das sie sich scheinbar durch die Galeriewand nahe am Boden gebrochen hat.
Das Robotertier hält mit der Stimme der neunjährigen Tochter des Künstlers eine Rede, in der sie mit Worten kämpft und stottert; ohne zu wissen, wie sie anfangen oder was sie genau sagen soll. Kunst kann auch viel Spaß machen…
Und für alle, die noch mehr vom Gallery Weekend1 sehen möchten…
Maybe stories are just data with a soul.2
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