Ingo Zamperoni stellt sein Buch Anderland an der HMKW vor

By MBS

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Im Gespräch über sein Buch Anderland

und die Zukunft des Journalismus

Nicht nur der Talk-Profi Jörg Thadeusz, sondern auch angehende Journalisten der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) hatten Mitte Mai beim Hochschul-Talk #AufdenPunkt das außerordentliche Vergnügen, den Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni zu seinem zweiten Buch Anderland, aber auch zu seiner Sicht zur Zukunft des Journalismus zu befragen. Wie das Buch ist auch ein Interview mit dem Anchorman auch in Bezug auf die aktuellen politischen Entwicklungen in den USA zugleich unterhaltsam und aufschlussreich. 

Obschon Ingo Zamperoni damit kokettiert, dass jeder im TV ersetzbar wäre; die öffentlich-rechtlichen Anchor(wo)men Miosga, Zamperoni, Slomka und Kleber sind etablierter Teil der deutschen Nachrichtenlandschaft; gerade wegen des einordnenden Konzeptes der Nachrichtenjournal-Formate zählt ihre Meinung enorm. Ihre jeweiligen Eigenheiten machen jeden von ihnen besonders; so ist es für Politiker sicher nicht angenehm, geslomkat zu werden, aber die meisten Zuschauer feiern sie dafür, dass sie Plattitüden und inhaltsleeres Geschwafel professionell entlarven.

Das neue Buch: Die USA unter Trump –

ein Schadensbericht

Nicht jedem Zuschauer erscheint es konform, wenn Caren Miosga auf dem Tresen stehend moderiert, um im Gedenken an Robin Williams an die Szene aus dem Club der toten Dichter zu erinnern, als seine Studenten zum Abschied für ihn das Walt Whitman Gedicht O Captain! My Captain! stehend auf den Tischen rezitieren oder Ingo Zamperoni auch mal Dante in einen sportlichen Kontext setzt. Genau das macht das Format der Tagesthemen aber authentisch; visuelle Gewohnheiten werden mit persönlichem Engagement aufgebrochen und lassen den durch zu viele negative Nachrichten abgestumpften Zuschauer nicht unberührt.

Und wenn nur einige der Generation X bis Z danach den Filmklassiker googeln, sind die öffentlich-rechtlichen und damit relativ unabhängigen Nachrichten jeden Cent der GEZ-Gebühren wert. Die beiden angehenden Journalisten Nikolina Krstinic und Richard Elsner nutzten engagiert ihre Chance, den Anchorman zu für sie interessanten Themen zu interviewen. Nicht nur der Nachwuchs aus dem Hause Zamperoni stellt einem 3-Sterne General schon die richtigen Fragen, wie sein Buch-Epilog amüsant berichtet; dies gelang auch den beiden HMKW-Moderatoren. So lässt nicht nur die Parkland-Bewegung hoffen, dass auch viele junge Menschen aufgerüttelt sind und den Populisten etwas entgegenhalten.

Schon sein erstes Buch Fremdes Land war ein Bestseller. Obwohl er nun ähnliche Themeninhalte auf den aktuellen Stand bringt, entspricht er damit weiterhin dem Bedürfnis vieler politisch interessierter Leser, die aus deutscher Sicht oft unverständliche amerikanische Politik von einem Amerika-Kenner einordnen zu lassen. Denn sowohl sein Werdegang als auch familiäre Bindungen zeigen seine kontinuierliche Affinität zu den USA und machen seine professionellen, aber auch persönlichen Betrachtungen auch so lesenswert. Nirgends sei die Empörung über Trump so hoch wie in Deutschland, daher ist es auch schwer auszuhalten, dass er davon ausgeht, dass die Trump-Anhänger ihm noch eine zweite Amtszeit bescheren könnten. 

Wie er nämlich nachvollziehbar belegen kann, hat Trump zwar nicht die Mauer, aber ansonsten einige für seine Anhänger relevante Wahlversprechen umgesetzt. Und letztendlich ist jeder neue Skandal auch Teil der Trump-Show, für die die meisten Deutschen ihn verachten, seine Fans ihn aber lieben. Für Trumps Entscheidungsfindung zähle lediglich, wie seine Anhänger das beurteilen; alle anderen sind ja eh Fake Newsgesteuert. So sei Sorgfalt, aber auch das stetige Ringen um Objektivität nach wie vor entscheidende Aufgaben der Journalisten; nicht immer einfach in diesen Zeiten.

Die im Buch beschriebenen Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen machen es anhand von vielerlei Alltagssorgen nachvollziehbar, warum Trump ein vorher so nicht erkennbares Vakuum gefüllt hat. Ähnlich wie von der AfD werden Wähler von Trump angesprochen, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr ernstgenommen fühlen. Sie haben es sowohl in den USA als auch hier versäumt, diese Wählergruppen bei Entwicklungen mitzunehmen, sie auf Umwälzungen besser vorzubereiten und ihnen die Angst vor Veränderungen zu nehmen. Aber wie im Buch (S. 168-169) nachzulesen ist, wächst nicht nur die junge Gegenbewegung:

Der Widerstand ist weiblich. Eine dieser Frauen ist Veronica Escobar. Sie bewirbt sich zum ersten Mal für das Repräsentantenhaus, im 16. Wahlbezirk von Texas. Sollte sie im November 2018 tatsächlich von ihrer Heimatstadt El Paso nach Washington geschickt werden, wäre sie die allererste Latina aus Texas im US-Kongress überhaupt. Was ein längst überfälliger Schritt wäre, allein schon, weil fast 40 Prozent der Texaner Latinos sind.

Zwar war die zweifache Mutter mehrere Jahre als County Judge in El Paso aktiv, bekleidete also eine lokalpolitische Funktion zwischen Amtsrichterin und Stadträtin. Aber sie hatte nie geplant, sich eines Tages für den Kongress im fernen Washington zu bewerben – bis Donald Trump Präsident wurde. Seine ressentimentgeladene Rhetorik gegenüber Einwanderern und sein Ruf nach einer Mauer zu Mexiko hat die Tochter einer Mexikanerin motiviert, ihren Hut in den Ring zu werfen: »Wir hier in El Paso, direkt an der Grenze zu Mexiko, haben das Gefühl, von der Trump-Regierung den Schwarzen Peter zugesteckt bekommen zu haben. Wir fühlen uns in eine Ecke der Angst gestellt.« Vor allem Trumps Begnadigung des umstrittenen Ex-Sheriffs Joe Arpaio, der in Arizona wegen Diskriminierung von Latinos verurteilt worden war, empfand sie als Schlag ins Gesicht: »Unglaublich. Das Signal, das diese Entscheidung an die Latinos hierzulande aussendet, lautet: ›Ihr gehört hier nicht hin. Und eure Bürgerrechte sind egal.‹ Aber wissen Sie was? Sie sind uns nicht egal!«

Bild unten links: Gutgelaunt stellte sich Ingo Zamperoni den Fragen der Studierenden

Bild oben rechts: Studiengangsleiter Prof. Dr. Markus Ziener (Journalismus & Unternehmenskommunikation) heißt den Moderator willkommen

Mit welcher Emotion und Leidenschaft Veronica Escobar, die sich unter anderem in dieser katholisch geprägten Gegend vehement für das Recht auf Abtreibung einsetzt, für ihre Positionen kämpft, erlebe ich zusammen mit einer Gruppe deutscher Journalisten, die im Rahmen des deutsch-amerikanischen RIAS-Austauschprogramms in Texas unterwegs ist. Escobar hat, wenn man so will, nichts davon, uns zu treffen, wir bringen ihr keine Wählerstimmen. Dennoch nimmt sie sich mitten in ihrer Kampagne während einer Mittagspause Zeit für uns und sprüht nur so vor Energie, redet so eindringlich und beeindruckend über die Probleme der Region, des Landes, ihrer Partei, als käme es für ihren Wahlsieg nur noch auf unsere paar Stimmen an. Mit ihrem schallenden Lachen hat sie ein sehr gewinnendes Auftreten, und, keine Frage, das Zeug zur Kongressabgeordneten hat sie auch.

Ingo Zamperoni nimmt den Leser in unterhaltsamer Weise in diese Begegnungen mit; die Amerikaner bekommen ein individuelles Gesicht, ihre jeweilige persönliche Situation wird auch gesellschaftspolitisch nachvollziehbar eingeordnet. Ausgehend von seinen persönlichen Eindrücken aus einem gespaltenen Amerika zeigt er auch Parallelen zur jüngsten politischen Entwicklung in Deutschland auf.

So sind nicht nur bekannte Narrative wie das persönlich motivierte Engagement des US-Moderators Jimmy Kimmel für Obamacare, sondern gerade die Einblicke in das Leben normaler Menschen so lesenswert. Das letzte Buchkapitel Aussichten beschreibt als Gefahr einer Amtsenthebung eventuell unberechenbare Reaktionen seiner Anhänger, macht aber auch deutlich, dass es nach wie vor viele Gruppen gibt, mit denen sich eine Zusammenarbeit lohnt.

Auch der gestandene Fernsehjournalist Ingo Zamperoni hatte ein Vorbild: Sein ZDF-Pendant Claus Kleber war früher sein Mentor und ist ihm heute freundschaftlich verbunden. Kleber war Leiter des ARD-Auslandsstudios in Washington, als Zamperoni dort ausgerechnet am 11. September 2001 seinen ersten Arbeitstag hatte.

Angesichts oft schwieriger Themen im Nachrichtengeschäft gab Ingo Zamperoni den angehenden Journalisten den Rat, dass man sich neben mangelnder Sorgfalt auch vor Zynismus in Acht nehmen sollte. Inwieweit Trump disruptive Vorgehensweise – von einer Strategie zu sprechen fällt schwer – z. B. im Nahost-Konflikt zu Bewegung führen wird, kann nur die Zukunft zeigen.

1Für das politische Europa wird es nun endlich Zeit, erwachsen zu werden, sich von den USA abzunabeln, eigene Wege zu suchen und alle Generationen in diesen Prozess mit einzubinden. Für die USA hingegen bleibt zu hoffen, dass eine/r der nächsten Präsidentschaftskandidaten schon 2020 das Charisma mitbringt, die Politfigur Trump als das zu entlarven, was sie ist:

Ein Narzisst, der nicht nur America first, sondern vor allem Trump first zum Maß aller Dinge erhoben hat. Und dass (auch deutsche) Parteien es nicht versäumen, rechtzeitig Nachwuchskräfte aufzubauen, um mit Erfahrung, aber auch frischem Wind die vielfältigen Zukunftsthemen anzugehen, die uns alle in einer globalisierten Welt erwarten.

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Letztendlich hypothetisch bleibt auch die Frage danach, ob die Tagesthemen und ähnliche Formate in 10 Jahren in dieser Form noch existieren – auch in Anbetracht der Tatsache, dass die junge Generation ein völlig anderes Medienkonsumverhalten an den Tag legt; wird es dann noch reichen, eine Streamingoption anzubieten oder bedarf es auch inhaltlich neuer Konzepte, wie es das öffentlich-rechtliche Online-Format FUNK ja auch schon versucht?

Wir dürfen gespannt sein; sicher ist nur, dass journalistische Kompetenz wie die von Ingo Zamperoni und gut ausgebildetem Nachwuchs auch in neuen Formaten mehr denn je gefragt sein wird. Fotos: ©Martha Harms@HMKW

Hier können Sie ANDERLAND von Ingo Zamperoni bestellen (*Werbung). Sehr zu empfehlen und ein schönes Geschenk für politisch interessierte Leser*Innen. Viel Spaß beim Lesen!

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  1. Videonachweis: https://www.youtube.com/watch?v=PEqvVgdo-Yw, Zugriff 19.06.18.
  2. Vgl. Brown, o. J.

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