By MBS
Posted in Architektur
In Deutschland ist eine Landmarke von Ole Scheeren noch Fiktion; seine international realisierten Bauten werden hierzulande nun in der Werkschau Spaces of Life im Zentrum für Kunst und Medien als Modelle und Augmented Reality Visualisierungen erlebbar. Bekannt für seine auch horizontalen Hochhäuser baut er weltweit verschiedenartige multifunktionale Lebensräume für variable Nutzung, meist mit interessantem Kontextbezug.
So korrespondiert die Architektur des Kunstauktionshauses Guardian Art Center (oben) von 2017 in Peking mit dem nahegelegenen NAMOC, dem National Art Museum of China, und der verbotenen Stadt. In seiner an traditionelle Gassen und Hofhäuser (Hutongs) erinnernden Bauweise reflektiert der museale Bau sowohl Denkmalschutzauflagen als auch vergangene und gegenwärtige Stadtrealitäten.
Zentrum des Kulturzentrums ist ein 1.700 qm grosser Universalraum ohne Säulen, umgeben und unterkellert von weiteren hybrid nutzbaren Räumen für Handel, Ausstellungen und soziale Events. Die ziegelförmige Dachfassade aus Glas und die in den grauen Basalt gebohrten pixelartig angeordneten Bullaugen in den Außenwänden sorgen in den Innenräumen für Tageslicht und kommunizieren geheimnisvoll nach außen.
Wie ungewöhnliche Gebäudestrukturen Licht bestmöglich nutzen, stellte er schon mit 31 Jahren in der Partnerschaft bei OMA (Office for Metropolitan Architecture) mit Rem Koolhaas für den chinesischen Staatssender CCTV unter Beweis. 2010 beendet er seine Partnerschaft bei OMA, CCTV wurde nach 10 Jahren Bauzeit endgültig 2012 fertiggestellt:
Das zueinander geknickte Hochhaus ist als Bauikone hochgelobt, steht aber auch als Symbol der chinesischen Propaganda in der Kritik. Vernetzte Kommunikation wird im schlechtesten, aber auch im beste Sinne eingesetzt; das visualisieren auch die Verstrebungen auf der Fassade, mehr als zeichenhaft stabilisieren sie das Gebäude bei Erdbeben.
In der Entwurfsphase waren deutsch-chinesische Kooperationen wenig umstritten, wie bei Russland hat sich das in der Rückschau aber diametral verändert. Das Gebäude bleibt, die politische Einordnung aber verändert sich signifikant.
Solche Solitäre funktionieren selten nur als Hülle, sondern sind oft auch politisch umstritten, als Architekt*in sollte man Kontroversen aushalten können. Für die politische Wirkung eines Baus kann man auch ethisch verantwortlich sein, wenn man wider besseren (Ge-)Wissens gebaut hat. Höchste technische Präzision in dieser Größenordnung zu bauen ohne Verantwortung für die Wirkung zu übernehmen erscheint wie eine perfekte Außenfassade ohne inneren Baukörper.
Als eines seiner ersten eigenen Projekte fand 2012 eine schwimmende Kinofestival-Plattform in Thailand als spektakuläre Event-Location viel Beachtung; ein schöner, aber auch elitärer Ort, der nur mit dem Boot erreichbar war. Immerhin wurden die Module danach Fischern zur Weiternutzung überlassen:
Der 2014 in Singapur fertiggestellte Gebäudekomplex The Interlace mit 1040 horizontal aufeinander bezogenen Wohneinheiten entstand in einer weiteren Kooperation mit Rem Koolhaas. Der mehrfach auch vom Rat für hohe Gebäude und städtischen Lebensraum (CTBUH) ausgezeichnete Komplex ermöglicht seinen Nutzer*innen in mehreren Dimensionen zusammenzukommen.
Der Interaktionsansatz von Scheerens Bauten ist auch hier ein Erfolgsfaktor. Denn die Qualität des Zusammenlebens der Nutzer*innen wirkt sich auf die Nutzungsdauer eines Gebäudes aus und hängt auch vom Angebot als Interaktionsplattform ab. Die besondere Gestaltung seiner Bauten definiert er per se als nachhaltig, da sie ja so langlebiger wäre.
Eine so besondere Ästhetik überdauert sicher länger; noch mehr Energieeffizienz, nachhaltigere Ressourcen- und Baukörpernutzung würden den vorbildlichen Gestaltungsanspruch dann wirklich nachhaltig untermauern.
Im 2019 eröffneten Dean & DeLuca Stage Restaurant in New York definiert ein durchdachter Ablauf der Dienstleistung klar und prägnant den Raum für die Inszenierung der Produkte, aber auch der Gäste:
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Sowohl die horizontal konzipierten Lebensraumprojekte als auch die ikonischen Hochhäuser intervenieren mit ihrer Gestaltung als Landmarken innerhalb eines Habitats. Bei den beiden Türmen von Duo (2018), einem Kooperationsprojekt von Singapur und Malaysia, ist die Botschaft der formal interagierenden Gebäude nicht zu übersehen.
Die Ausrichtung der konkaven Gebäude lenkt die Windströme zur Kühlung auf die Plaza. Gerade Baukörper von Hochhäusern könnten Wind, Wasser und Sonne weitaus effizienter nutzen, langfristig ökonomischer sind solche Entscheidungen allemal.
Sein erstes Großprojekt in Deutschland sollte eigentlich der Riverpark Tower in Frankfurt am Main werden. Ein in die Jahre gekommenes Versicherungshochhaus in Flussnähe sollte entkernt, saniert und etagenweise erweitert zum Luxus-Wohnturm umgebaut werden. Seit Anfang 23 heisst das Vorhaben nun Tower Y und wird wohl ein Bürogebäude, hoffentlich wenigstens auch auf dem alten Gerüst aufgebaut.
Sein Wohnturmentwurf Fifteen Fifteen (2015) für Vancouver zeigt, wie es am Flusspark dann in etwa ausgesehen hätte:
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Nicht jedes Bauprojekt läuft wie gedacht, der Gewinn eines Wettbewerbs ist keine Garantie, den Bau auch zu realisieren. Diese Erfahrung machte schon sein ehemaliger Partner bei OMA Rem Koolhaas 1989 als Gewinner des Wettbewerbs für einen Neubau des ZKMs in Karlsruhe, Scheerens Heimatstadt.
Stattdessen wurde drei Jahre später eine als Baudenkmal geschützte ehemalige Munitionsfabrik zu diesem Zweck umgebaut, damals eine geradezu visionäre politische Entscheidung in puncto nachhaltiger Stadtentwicklung.
Diese ressourcenschonende Weiternutzung schafft nun den Rahmen für Scheerens teils noch nicht gebaute Hochhaus-Modelle: Links das Modell des 2016 fertiggestellten Hotelhochhauses Maha Nakhon (auf thailändisch: große Stadt) in Bangkok. Die gepixelte Fassade, hier spiralförmig, ist als Gestaltungselement auch wiederzusehen. Die mediale Inszenierung seines Schaffens auch mittels Augmented Reality Visualisierungen und Medienrondell ist unterhaltsam, wie seine Aussichtsplattform Sky Forest im geplanten Empire City Hochhaus in Vietnam (Modelle unten) eine schöne Repräsentation mit optischem Nutzungsmehrwert.
Es bleibt eine Ambivalenz zu seinen Projekten: Die beeindruckend schöne und ansprechende Ästhetik der Bauten an exotischen Orten, deren Nachhaltigkeit bis jetzt nur mit Langlebigkeit begründet wird. Neuste Resort-Entwürfe in den OS-Büro Videoempfehlungen zeigen eine Schöne Neue Welt, leider aber nur für die, die gerade leben. Nach Pandemie, nun Krieg und schon wieder Erdbeben, wer möchte noch einen ästhetisch perfekten Pool im obersten Stockwerk ohne Ressourcenausgleich? Der bliebe dann auch in der gebauten Realität für die Meisten eine Fiktion.
Die Hoffnung auf weitere gebaute Lebensräume in seiner ikonischen Handschrift auch in Deutschland bleibt, mit effizientem Nachhaltigkeitskonzept wären sie wahrhaftiges Innovationsvorbild.
Die Ausstellung spricht nicht nur Fachleute, sondern auch Architekturinteressierte an und läuft noch bis zum 4.6.2023 im ZKM. Im Video2 unten über den Wettbewerbsgewinn für das Hochhaus Nanjing Nexus kann man Ole Scheerens Entwurfsprozess gut nachvollziehen:
Maybe stories are just data with a soul.3
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