Bauen für die Kunst: Kulturbauten in Berlin

By MBS

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Bauen für die Kunst

@James-Simon-Galerie

Es gibt wohl kaum einen passenderen Ort für einen Architekturgipfel zum Thema Kulturbauten als die James-Simon-Galerie, das Eingangsportal der Berliner Museumsinsel: Mitte November 2019 trafen sich in Berlin bauende Stararchitekten und eine (!) Architektin beim 3sat-Kulturformat Das blaue Sofa: Sir David Chipperfield, Jacques Herzog, Regine Leibinger, HG Merz und Franco Stella. Sie diskutierten mit 3sat Kulturmoderatorin Vivian Perkovic über den Mehrwert von Kulturbauten als städtebauliche Interventionen. Der Architekt der nach dem Kunstmäzen und Stifter der Nofretete benannten James-Simon-Galerie Chipperfield brachte eingangs seine Freude zum Ausdruck, nun schon seit Jahren Teil der Neuerfindung Berlins zu sein.

Zu den Herausforderungen, hier neue Architektur zu bauen, gehöre immer die besondere Auseinandersetzung mit der Geschichte Berlins. Auch Jacques Herzog sieht trotz der kontroversen Diskussion um sein auch als Scheune abgewertete Museum der Moderne die offene Auseinandersetzung mit dem existierenden Umfeld und den Menschen als essentiell an, da Traumen oft Teil der Geschichte vieler Städte wären. Die kritische Auseinandersetzung mit Bewohnern und Nutzern bereichere idealerweise sogar die Arbeit der Architekten. Architektur bleibt so nah am Leben. ©Fotos: MBS

Nach dem Krieg war neue Architektur vor allem ein Ausdruck der gesellschaftlichen Veränderung; die Moderne hätte laut Stella weniger die Stadt an sich als mehr einzelne Gebäude besonders gestaltet. Eine progressive Stadtplanung sei in Berlin oft schwierig, Bürokratie und Kontamination von Orten durch die Zeit des Nationalsozialismus erschweren laut HG Merz die Arbeit. So sind Brachen mit Gestaltungspotenzial oft nur glattgebügelt worden, aber das Gesamtkonstrukt der Museumsinsel zeigt, dass Altes und Neues mit dem passenden Masterplan eine gelungene Symbiose eingehen können.

Moderatorin Perkovic greift Chipperfields Kritik am vis-à-vis liegenden Humboldt-Forum auf, das rekonstruierte Stadtschloss sei der Jurassic Park der historischen Rekonstruktion; im Angesicht eines angefassten Stellas lenkt Chipperfield aber diplomatisch auf die konstruktiv kritischen Einlassungen der Berliner ab und betont die vermittelnde Position des Architekten auch zwischen Auftraggeber und Nutzern.

Auf dem blauen Sofa von links nach rechts: Sir David Chipperfield, Prof. Hermann Parzinger, Franco Stella, Jacques Herzog, Vivian Perkovic, HG Merz und Regine Leibinger.

Im besten Falle ist Architektur der Ausdruck gesellschaftlicher Kräfte, eine Art psychologische Topografie der Stadt, wie Herzog anmerkt. Bewohner hätten anfangs oft Mühe mit Veränderung, die sie später dann lieben. Besonders an den von ihm so benannten Akupunkturstellen einer Stadt könne ikonografische Architektur Verkrustungen lösen und neue Kräfte mobilisieren, wie es ihm bei der Tate Gallery in London gelungen sei. Der Meister geizte nicht mit Eigenlob. Auf dem einst als Akropolis der automobilen Stadt konzipierten Kulturforum zwischen den erratischen Gebäuden der Philharmonie von Hans Scharoun, der neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe und der historischen St. Matthäus Kirche präsentiere sein Museum der Moderne dort nicht nur die Kunst, sondern sorge als verbindendes Element dafür, dass die Gebäude an diesem neuralgischen Ort wieder ins Gespräch kommen. Man wird sehen.

Wenn dies gelingt, werden solche Orte adaptiert statt vandalisiert, letztendlich eine Entscheidung der Stadtbewohner. Bei der James-Simon-Galerie scheint der Gesprächsfluss zu funktionieren, die Resonanz ist trotz der 50 Mio. € Mehrkosten überwiegend positiv. Wie man mit exzeptioneller Architektur gut akzeptierte Räume stadtplanerisch definiert, zeigte auch Jürgen Mayer H. mit dem Metropol Parasol in Sevilla. Aber beeindruckende Ästhetik mit Bilbao-Effekt kostet eben Geld, so war die erhöhte Budgetierung des Museums der Moderne Mitte November Thema im Bundestag; die dort und in der Presse geäußerte Kritik an der sich verdoppelnden Kostenschätzung findet Herzog nachvollziehbar, HG Merz verweist kollegial auf geänderte Rahmenbedingungen. Der sumpfige Berliner Boden ist eben kein einfaches und daher kostenintensives Bauland, Denkmalschutz muss auch bezahlt werden.

Bestimmendes Element der Architektur der James-Simon-Galerie ist das in eine moderne Form übersetzte historische Motiv der Kolonnaden. Rechts vom Eingangsportal entstand in Fortführung der Stüler’schen Kolonnaden zwischen James-Simon-Galerie und Neuem Museum ein kleinerer Kolonnadenhof, der sogenannte Neue Hof.

Das Kolonnadenmotiv prägt auch die Westansicht des Gebäudes vom Kupfergraben aus. Ein hoher Sockel führt die Architektur des benachbarten Pergamonmuseums fort. Darüber erhebt sich ein transparenter, durch filigrane Stabreihung und Glas definierter Baukörper, der vielfältige Einblicke und Ausblicke erlaubt.

Ikonografische Architektur ist laut Chipperfield immer ein Prototyp, eine genaue Kostenschätzung sei letztendlich nicht möglich. In ein paar Jahren interessiere sich auch keiner mehr für die Kosten der Elbphilharmonie. Den Einwand Perkovic’, dass höhere Kosten oft Kürzungen dann bei sozialen Projekten zur Folge hätten, erkennt Chipperfield immerhin als Problem an, der Brexit sei ja auch eine Auswirkung von gesellschaftlicher Ungleichheit. Orte wie die Museumsinsel bringen Berlin aber auch Einnahmen, irgendwann wird man den ROI wohl erreichen.

Weitere Herausforderungen für Architekten sind laut Leibinger Nachhaltigkeit, Digitalisierung und zügiges Bauen von bezahlbarem Wohnraum; Kulturbauten müssten mehr nach Schnittstellen zum öffentlichen Raum suchen, wie HG Merz ergänzt. Ist dieses Engagement für mehr soziale Raumerschließung glaubwürdig? Nur Regine Leibinger hat mit ihrem Punkthochhaus ein solches Projekt wenigstens mal konzipiert, bei den Herren erscheint das Ansinnen eher als Makulatur. Gelungene Kulturbauten schaffen im besten Falle Begegnungsorte und kulturelle Identität; nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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Das schon 2007 von Chipperfield entworfene Haus Bastian dient seit 2019 als Zentrum für kulturelle Bildung der Staatlichen Museen zu Berlin. Neben großen regionalen wie überregionalen Bildungsprojekten bietet es ein Forum, um über aktuelle und zukunftsweisende Fragestellungen der Bildungsarbeit wie gesellschaftliche Teilhabe, Inklusion oder politische Bildung zu diskutieren.

Der Liegende Löwe von August Gaul empfängt die Besucher im zentralen Eingangsbereich der James-Simon-Galerie. Die 1903 entstandene Skulptur aus dem Besitz des Verlegers Rudolf Mosse bewachte einst die Kunstsammlung in seinem Palais. Sein Besitz wurde enteignet, das Palais zerstört, der Löwe aber überstand relativ unbeschadet den Krieg, wurde 2015 dann doch mal von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz restituiert und ein Jahr später wieder zurückerworben. Wie die Galerie selber hat nun auch der Löwe hier seinen Platz gefunden. Architektur schafft Räume, Kunst den Kontext.

Auf der Ebene des zentralen Empfangsraumes befindet sich auch der alleinige Zugang zum Pergamonmuseum, während das Neue Museum und später auch das Bode-Museum über die Archäologische Promenade im Untergeschoß zugänglich sind. Der gesamte Komplex wird einmal das größte Universalmuseum der Welt sein. James Simon hätte es sicher gefallen.

Weitere Impressionen der James-Simon-Galerie sehen Sie unten im Video1, in der 3sat Mediathek ist Das blaue Sofa: Bauen für die Kunst noch abrufbar.

Ein Besuch der Museumsinsel lohnt sich immer; bei gutem, vor allem aber bei schlechtem Wetter ein Genuss für die Sinne.

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  1. Videonachweis: https://www.youtube.com/watch?v=Jy1B5HwHj30, ©faz, Zugriff 25.11.19.
  2. Vgl. Brown, o. J.

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